
„Um jeden Preis“ von Hera Lind, erschienen beim Knaur Verlagᵘⁿᵇᵉᶻᵃʰˡᵗᵉ ᵂᵉʳᵇᵘⁿᵍ, ᴿᵉᶻᵉⁿˢⁱᵒⁿˢᵉˣᵉᵐᵖˡᵃʳ
Klappentext:
1944: Die sechzehnjährige Lydia aus Odessa findet sich nach tagelanger Irrfahrt in einem verschlossenen Waggon in der unwirtlichen sibirischen Eiswüste bei minus fünfzig Grad wieder. Ihr einziges Gepäck: Die Kleider, die sie am Leib trägt. Keine Hütte, kein Schutz, nichts. Noch ahnt sie nicht, dass sie hier Mutter werden wird und das in ihr ungeahnte Kräfte freisetzen wird…

Ich habe jetzt schon einige Tatsachenromane von Hera Lind gelesen – und jedes Mal denke ich: Das kann man doch gar nicht erlebt haben. Und doch sind es wahre Geschichten, aufgeschrieben mit Respekt und Tiefe. „Um jeden Preis“ hat mich besonders bewegt.
Im Mittelpunkt steht Lydia, die 1944 als sechzehnjähriges Mädchen aus einem deutschen Dorf bei Odessa vor der Roten Armee flieht. Allein diese Vorstellung – mit nichts als dem Mut der Verzweiflung auf der Flucht – ist kaum greifbar. Lydia und ihre Familie schaffen es tatsächlich nach Deutschland. Doch es ist kein Ende, sondern ein Anfang: Sie werden zurückgeholt. Und was dann folgt, ist ein nie enden wollender Albtraum: Sibirien. Zwangsarbeit. Hunger. Kälte. Und immer wieder: das Festhalten am Leben. Am Glauben. An der Familie.
Tatsächlich musste ich beim Lesen immer wieder innehalten, um das Gelesene zu verarbeiten. Was mich so beeindruckt hat: Lydia verliert nie ihren inneren Kompass. Ihr Leitsatz – unbedingt zusammenbleiben – zieht sich durch ihr ganzes Leben. Trotz aller Unmenschlichkeit hält sie an dem fest, was zählt: Familie, Würde, Hoffnung.
Hera Lind erzählt Lydias Geschichte mit großer Einfühlsamkeit, ohne Pathos, aber mit spürbarer Achtung. In klarer, schnörkelloser Sprache erzählt sie nicht nur von Leid, sondern vor allem von unerschütterlicher Menschlichkeit. Besonders schön fand ich, dass Lydia selbst ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben hat – und dass ihre Familie nach ihrem Tod das Tagebuch an Hera Lind geschickt hat. Da, wo das Tagebuch endet, kommen ihre Verwandten zu Wort und erzählen die Reise weiter.
Linds Schreibstil ist gewohnt einfühlsam und detailreich. Sie schafft es, die Leser:innen mitten in das Geschehen zu ziehen, die Kälte Sibiriens spürbar zu machen und die emotionale Belastung der Protagonistin greifbar darzustellen. Der familiäre Zusammenhalt, der sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, ist besonders berührend.
Ein zutiefst bewegendes Buch über Stärke, Leid und die Kraft der Liebe. Es ist ein wichtiges Zeitzeugnis, das die Schicksale vieler Russland-Deutscher beleuchtet. Wer Geschichten sucht, die Mut machen und Erinnerungen wachhalten, sollte „Um jeden Preis“ unbedingt lesen.
Mich hat Lydias Geschichte noch lange nach dem Zuklappen des Buches begleitet.
Ich bedanke mich für die tolle Leserunde auf Lovelybooks.
Buchinfo
📘 Um jeden Preis
Autorin: Hera Lind
Erschienen bei: Knaur TB
Seiten: 528
ISBN: 978-3-426-52839-6
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