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„Die große Vertrauenskrise“ von Sascha Lobo, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch

Für manche Bücher muss man sich einfach etwas mehr Zeit nehmen, sie intensiv und aufmerksam lesen und den eigenen Gedanken Zeit geben, das Gelesene zu verarbeiten. Entsprechend hat es bei mir etwas länger gedauert, bis nun die Rezension von Sascha Lobos „Bewältigungskompass“ erscheint. Für die Zusendung des Rezensions-Exemplars danke ich dem Verlag Kiepenheuer & Witsch (unbezahlte Werbung) und freue mich auch, nach einigen kritischen Besprechungen von ihren Publikationen nun ein KiWi-Buch uneingeschränkt empfehlen zu können.

Sascha Lobo kenne ich schon lange (nicht persönlich) als kritischen Denker, der von provokanten Thesen nicht zurückschreckt und gerade beim Schlagwort Digitalisierung zur Avantgarde (zumindest der mir bekannten) in der deutschen Medienwelt gehört. Er polarisiert dabei sicherlich und ich stimme nicht mit jeder Meinungsäußerung überein, aber ich schätze ihn und seine Art sehr, weil sie zu einem sachlich-kritischen Diskurs anregt. Ganz aktuell positioniert er sich ganz klar gegenüber der AfD, was ich ebenfalls sehr schätze.

Zum Buch: „Die große Vertrauenskrise – ein Bewältigungskompass“ – da sagt der Titel eigentlich schon alles. Wobei ich feststellen muss, dass der detaillierten Darstellung der Vertrauenskrise und ihrer Gründe deutlich mehr Raum gegeben wird als dem versprochenen Kompass zur Bewältigung. Ich empfand die Analyse der Gründe für die von uns allen wahrgenommene Erosion des Vertrauens auf verschiedenen Ebenen gegenüber vielen Institutionen an vielen Stellen als erhellend. Auch wenn mir viele Fakten bekannt waren, stellt Lobo schlüssig Zusammenhänge dar, die mir so bisher nicht bewusst waren.

Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Corona-Pandemie, Klimawandel, Rechtspopulisten wie Donald Trump, soziale Medien wie Twitter, Facebook und YouTube sowie nun das rasant gewachsene Thema (ChatGPT sei dank) Künstliche Intelligenz werden behandelt und erklärt und so wird verständlich, wie sich die Art des Medienkonsums, der Kommunikation und der Politik sowie unsere Haltung gegenüber der Wissenschaft verändert haben. Der Austerität widmet er ein eigenes Kapitel – nicht wissend, wie aktuell das Thema im Dezember 2023 (Schuldenbremse) sein wird.

Wenn man sich durch mehr als 280 Seiten kritischer Auseinandersetzung gearbeitet hat, bleiben nur noch rund 40 Seiten für die versprochenen Lösungsansätze. Diese sind zwar plausibel und wahrscheinlich richtig, setzen aber auf eine gehörige Portion Optimismus und Glauben an den gesunden Menschenverstand. Überrascht haben sie mich nicht, sie ergeben sich eher folgerichtig aus der Analyse und dem, was vernunftbegabte Menschen eben so tun. Wer also den heiligen Gral der Restauration des Vertrauens sucht, wird hier eher nicht fündig. Das konkrete Beispiel mit der Entenjagd in Arkansas hat mir dennoch gefallen…

Lobos neuestes Werk bleibt dabei absolut lesenswert und hilft definitiv, einen klaren Blick auf die Vertrauenskrise zu erhalten. Ich befürchte allerdings, dass es vielen Lesenden ähnlich gehen wird wie mir – Problem erkannt, Lösungsweg entdeckt, aber wir Vernunftbegabten sind dann doch entweder in der Minderheit oder eben zu leise. Und diejenigen, die Lobos Buch eigentlich lesen und verstehen sollten (aktuelle Beispiele: Corona-Querdenker, Reichsbürger, „Patridioten“, Putin-Fans und Co.), werden es schlicht nicht tun. In diesen Kreisen dürfte Sascha Lobo hinreichend zum Feindbild erklärt sein, als dass dieses Buch dort, wo es einen echten Einfluss haben könnte, konsumiert würde.

Wer aber Menschen in seinem Umfeld hat, die nicht mehr wissen, wem sie trauen können, aber noch nicht völlig in Verschwörungstheorien abgedriftet sind – dem sei dieses Buch ans Herz gelegt, vielleicht noch als Last Minute-Geschenk für Telegram-Einsteiger. Und natürlich zur Selbstlektüre.

Ich vergebe 4/5 Punkten und hoffe, dass das Buch die Verbreitung findet, die es verdient.

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